Verloren in Raum und Zeit

Der Count-Down ist angebrochen, mein Timer sagt: Neun!

Diese Zahl sehe ich gerade mit Verwunderung an und Frage mich, wo zum Geier all die Tage geblieben sind. Scheinbar verliere ich mich in Raum und Zeit, lebe mehr als es mir gut tut nur so in den Tag hinein. Meine größten Sorgen sind im Augenblick, ob meine Ersatzkreditkarte noch rechtzeitig vor dem Abflug eintrifft und ob die luxemburgische Arbeitsagentur mit der erbetenen Schnelligkeit meine Anfrage nach diesem ominösen Formular PD U1 bearbeitet. Wenn nicht, auch egal, dafür wurde UPS und die Homebase *1) erfunden, aber mich irritiert, dass der vorher so mühsam zu einem wahren Monstrum aufgeblähte Behälter mit der Aufschrift „Panik und Drama“ gerade nicht mehr hergibt und ich bin durch diesen Mangel an Sorgen und Nöten arg irritiert. Entweder hat mich die Achterbahn der Gefühle in den verstrichenen Monaten so sehr abgestupft, dass ich eine an Apathie grenzende Emotionslosigkeit entwickelt habe oder es gibt einfach keinen fühlbaren Unterschied mehr zwischen 8,2 und 9,5 auf der nach oben offenen Richter-Skala der Panikattacken. Betrübt werfe ich einen Blick in die Google Task Liste, die ist schließlich immer für einen Schrecken gut. Tja, ich werd beim Anblick zwar ganz blass im Gesicht, allerdings nur weil fast nichts mehr an offenen Punkten übrig ist. Crazy, soviel Organisationstalent hätte ich mir nicht zugetraut oder habe ich aus Versehen im Delirium alle offenen Punkte zugemacht um mal wieder eine Nacht ruhig schlafen zu können?! Zeit für eine Bestandsaufnahme:

Impfungen: Sind alle durch, Gelbfieber, Hepatitis A+B, Tollwut, Typhus, Cholera, Mumps, Masern, Röteln, Tetanus, Polio, Diphtherie, Keuchhusten, japanische Enzephalitis meine zwei Impfpässe sehen aus wie die Stickerheftchen in der Grundschule, nur die Aufkleber simulieren keine kindliche Fröhlichkeit, sondern zeigen mir die nackten Tatsachen der Chargennummer. Ein wenig enttäuscht bin ich deswegen schon, bedenkt man die imensen Kosten für den ganzen Pharma-Wahn. Der eine oder andere neongrüne, fröhlich guckende Frosch-Smiley neben dem Stempel vom Arzt wäre doch sicherlich sehr förderlich für meine Motivation gewesen und hätte diesen Dauersumpf an pseudogrippalen Infekten erträglicher gemacht. Schließlich sind wir doch alle nur Jäger und Sammler, die Zuneigung in neongrünen, fröhlich guckenden Frosch-Smileys suchen um damit diese Leere im konsumgeschwängerten Leben, durch etwas das Bestand hat, aufzufüllen…  – Anm. d. Red.: Könnten Nebenwirkungen der letzten Impfung sein.

Egal, jetzt bin ich mindestens unsterblich, wenn nicht gar kugelsicher und werfe alle Sachen auf einen Haufen die in den Backpack müssen. Verdammt, das ist echt wenig für ein Jahr. Irgendwie komme ich mir sehr nackt vor, wenn ich dieses kleine Häufchen Zeugs sehe. Und – oh welch Überraschung – trotz ordentlich Kompression und Druck, passt noch lange nicht alles in den Rucksack. Am Ende liegt immer noch ein T-Shirt, ein Hemd oder eine Hose rum die eigentlich mit sollten. In meinen Tagträumen sehe ich mich schon wie ich die komplette Reisekasse in einem Shopping Center in Buenos Aires verprasse um dieses Gefühl der Nackheit loszuwerden.

Meine Wohnung habe ich inzwischen aufgelöst und mit den neuen Mietern habe ich den Jahrhundert-Glücksgriff beim Nachmieter-Blind-Date gehabt. Denn das sympatische, junge Päärchen hat fast alle meine Möbel übernommen, so dass der Punkt mit dem größten Fragezeichen, nämlich wo zum Geier rein und hin mit den Möbeln, sich über Nacht in Luft aufgelöst hat und nur noch die Inhalte diverser Schränke ungefiltert in Umzugskartons gestopft und bei einem Freund untergestellt werden mussten *2). Supergenial! Optimaler hätte es nicht laufen können. Zum Ende der Woche finde ich Asyl in der Homebase, zurück in der Heimat werden die letzten Unterlagen verschnürt, meine Steuererklärung rausgefaxt und noch das eine oder andere Drama, das sich hinter der Bühne schon mal warmtanzt, durchlebt. Herrlich, ich freu mich!

*1) An dieser Stelle vorab ein superriesengroßes Dankeschön an meine Homebase also know as mein kleiner Bruder: Dafür das er sich in meiner Abwesenheit um alle meine Angelegenheiten kümmert oder alternativ die Reisekasse plündert und die Kohle in Vegas verzockt. So oder so, mein Dank von ganzem Herzen sei Dir gewiss und Du bist der Beste kleine Bruder den man sich nur wünschen kann! See you in: <insert random country here>

*2) Auch Dir besten Dank für die gefühlten 50 m² deines Palastes in denen ich mein Potpourri an Umzugskartons beherbergen darf und ebenfalls meinen Dank dafür, dass du dich in meiner Abwesenheit um die Diva kümmerst. Freue mich schon jetzt, wenn es klappt Dich in <insert random country here> zu sehen!

2 comments on “Verloren in Raum und ZeitAdd yours →

Schreibe einen Kommentar zu Micha Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.